Kunstgottesdienst in der Rembertikirche, 20.08.2023

Liebe Frau Pastorin Klaus, ganz herzlichen Dank für Ihre Einladung zu diesem für mich sehr besonderen Kunstgottesdienst.

Liebe Besucherinnen und Besucher, ich freue mich sehr, dass ich hier heute sprechen darf. Frau Pastorin Klaus meinte, dass ich davon berichten könnte, wie ich dazu gekommen bin, derartige Objekte zu erstellen und was mich während der Arbeit daran bewegt hat. Wenn ich davon erzähle, klingt es leicht sehr gradlinig, so als ob ich schon zu Beginn wüsste, was entsteht. Das ist bei Leibe nicht so. Die meisten Versuche landen im Müll. Aber bei einigen habe ich dann doch das Gefühl, so könnte es stimmen, so könnte ich es lassen – zumindest vorerst.

Mein Vater hat Vögel geliebt, er war ein echter Vogelfan. Wir hatten ein ganzes Haus voll mit zwitschernden Kanarienvögeln und Zebrafinken. Hunderte.
Vögel stehen ja für grenzenlose Freiheit. Und der Wunsch, frei zu sein wie ein Vogel, erfüllt uns alle – das kennen Sie sicherlich auch. Doch warum sperren wir sie dann ein?

Mein Vater hinterließ mir jede Menge Vogelkäfige. Einige habe ich als Ausgangsmaterial für meine Objekte genommen, sie mit Federn vollgestopft, umwickelt, einbetoniert … alles was man damit so machen kann – einige Beispiele hat Ihnen Frau Klaus gerade gezeigt. Mir geht es dabei um die Dualität von Eingesperrtsein, vielleicht durch äußere Umstände oder Glaubenssätze, Illusionen und der Sehnsucht nach Freiheit. Das ist eigentlich das Oberthema aller meiner Arbeiten.

Etwas, dass Sie vermutlich auch beschäftigt, ist die Klimakatastrophe. Mich beschäftigt dieses Thema auch sehr und ich habe dazu mehrfach gearbeitet. Grundlage mehrerer Objekte sind vertrocknete Pflanzen. Ich habe den Wurzelballen gereinigt, so dass nur noch die eigentlichen Wurzelstränge vorhanden sind. Auf mich wirken diese jetzt wie Adern – wie ein herausgerissenes, blutendes Herz.
In diesem Fall habe ich das Objekt auch angemalt. Ich hatte das Gefühl, dass die Arbeit so an Klarheit gewinnt.
Und im oberen Bereich der Äste sind weiße Federn platziert. Weiße Federn sehe ich in diesen Arbeiten oft als einen erneuten Aufbruch, neues Leben.

Der Aufbruch ist mir ganz wichtig. Ich möchte Mut machen. Denn trotz aller schlimmen Umstände ist es auch richtig, dass das Leben oder die Freiheit sich immer wieder neue Wege suchen und jede Herausforderung immer auch eine Möglichkeit für neues Wachstum bietet.

Und selbst mit dem Sterben ist das Leben nicht zu Ende. Oft ist der Tod auch Voraussetzung für neues Leben. Im realen Leben wie auch in unseren Gedanken. Bei Glaubenssätzen die uns einschränken, wie z. B. „Das schaffe ich sowieso nicht.“ leuchtet das sofort ein – sterben diese, entstehen neue Möglichkeiten – neues Leben.

Letztes Jahr, diese Ausstellung war fast fertig, begann der Krieg gegen die Ukraine. Da habe ich noch mal neu begonnen.

Dabei ist eine Arbeit entstanden in der fünf überlange Zimmermannsnägel einen geschälten, quasi nackten, entblößten Ast durchbohren. Im oberen Bereich des Korpus brechen wieder kleine weiße Federn hervor.

Erst viel später wurde mir klar, dass ich bei dieser Arbeit unbewusst durch ein großes Vorbild geleitet wurde. Das Bildnis des Heiligen Sebastian von Tizian. Erst als ich das Bild vor einiger Zeit wieder sah, wurde mir klar, wie ähnlich die Arbeiten sind – gestalterisch sowie auch inhaltlich. Der heilige Sebastian war einer der ersten Christen in Italien und sollte bei Todesdrohung seinem Glauben abschwören. Wäre er dem gefolgt, wäre ihm vermutlich nichts passiert. Diesen Weg ist er aber nicht gegangen, er ist bei seinen Überzeugungen geblieben. Deshalb sollte er hingerichtet werden, er wurde von zahlreichen Pfeilen getroffen, überlebte aber. Seine Wunden heilten, aber da er weiterhin bei seinem Glauben blieb, ließ man ihn schließlich erschlagen.

Der Heilige Sebastian wurde zu einem Vorbild, zu einem Helden, zu einem Märtyrer. Er blieb aufrecht und authentisch und hat sich nicht unterworfen. Auch sein Tod hat neues Leben ermöglicht …

Vielleicht erinnert meine kleine Arbeit auch daran.

Vor einiger Zeit war ich in Palästina und Israel und bin dort Menschen begegnet, die wirklich guten Grund gehabt hätten, in den Hass zu gehen. Das taten sie aber genau nicht, sie haben sich auch nicht unterworfen, stattdessen haben sie eine für mich schon fast beschämende Menschlichkeit entwickelt. Diese Menschen haben mich zutiefst berührt.

Sie sind auch ein Beispiel dafür, dass wir immer die Möglichkeit haben uns zwischen verschiedenen Wegen zu entscheiden – jederzeit. Und vielleicht ist das die größte Freiheit, die wir überhaupt haben können.

Wenn das in meinen Arbeiten anklingt, freue ich mich. One day I will fly. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

Ulrich Schwecke