Es ist für mich eine große Ehre und ein großes Vergnügen heute hier mit Ihnen die Ausstellung »1/10 Sekunde« mit Fotoarbeiten von Ulrich Schwecke eröffnen zu dürfen. Und es ist mir eine große Freude, weil ich die Bilder, die hier in der Bremischen Volksbank Achim zu sehen sind, ebenso schätze wie den Künstler, den Kommunikationsexperten und vor allem den Menschen Ulrich Schwecke.

Ich muss aber auch zugeben: Hier zu stehen, ist für mich eine höchst ungewohnte Rolle, da ich in meinem sonstigen Leben kein Kunsthistoriker, kein Fotografieexperte, kein Kunstsammler oder sonst übermäßig kunstsachverständig bin. Erfahrungen in der Eröffnung von Kunstausstellungen habe ich auch nicht.

Erwarten Sie also keine Wahrheiten und keine stromlinienförmige kuratorische Einführung in das Werk, keine kunstwissenschaftlich korrekte Einordnung dieser Ausstellung in den aktuellen Stand der Dinge der Fotografie. Das kann ich leider alles nicht bieten. Im Angebot sind nur ein paar lose geschüttete Verweise auf Spuren, die ich in Ulrich Schweckes Arbeiten entdecke.

Ulrich Schwecke fotografiert schon sehr lange. Das gehört mit zu seinem Beruf und das hat er auch gelernt. Und doch ist es alles andere als eine Form der Gebrauchsfotografie, mit der er als Fotograf und Grafiker an die Öffentlichkeit geht. Schaut man bei Google, kann man zum Beispiel den Hinweis auf eine Ausstellung in Wilhelmshaven finden, wo Uli Schwecke eine Serie von Bildern zeigte unter dem Titel „Where is Jim?“, Fotografien vom Pariser Friedhof Pierre Lachaise und eine Hommage an das Grab der legendären Rock-Ikone Jim Morrisson. Das war 2001.
Noch länger zurück liegt eine Ausstellung mit Bildern von Menschen, die in Bremen Grambke – oder war es woanders? – lebten und die schwarz/weiß und riesengroß an Häuserwänden eines Problemviertels installiert waren.

Obwohl Ulrich Schwecke damals ganz anders fotografierte und andere Themen zu fassen hatte, als das, was heute hier als Ausschnitt aus seinem aktuellen Schaffen ausgestellt ist, gibt es ein Kontinuum, etwas was den Arbeiten eigen ist, den alten und den neuen gleichermaßen. Immer zu erkennen an den Arbeiten von Uli Schwecke ist nämlich eine Art von unbestechlichem Eigensinn. Die Fotoarbeiten sind nie Zitate gängiger Trends und gut meinende Verbesserungen oder Annäherungen von schon mal Gesehenem. Bei Ulrich Schwecke ist das Bessere noch der Feind des Guten. Ein Schwecke ist immer ein echter Schwecke. Und von künstlerischer Authentizität.

Dabei sagt man gemeinhin Fotografien eine ganz andere Authentizität nach. Auch wenn heute alle wissen, wie sehr Fotos im Nachhinein bearbeitet und verändert werden, wie sehr Fotos lügen können, traut die Welt und die Öffentlichkeit einem Bild immer noch mehr als einer Beschreibung. Das Bild ist per se glaubwürdiger als das Wort und offenbar direkter und ungefilterter Abbild der Wirklichkeit als es Beschreibungen sind. Die Kamera, als die Maschine zur objektiven Dokumentation der sichtbaren Welt macht uns auch heute noch glauben, dass beim Fotografieren festgehalten, wird, was ist. Damit setzte sich anfangs die Fotografie von der Malerei ab und der Maler war fortan wie befreit davon, möglichst dicht an der wahrnehmbaren Welt zu malen, um als guter Künstler zu gelten. Diese Befreiung war Teil einer Entwicklung, die über Expressionismus und Impressionismus zur abstrakten Malerei führte. Und die Welt lernte damit auch auch, dass die Wirklichkeit ein höchst vielgestaltiger und flüchtiger Zeitgenosse ist und die Schärfe der Abbildung und die Treue zur äußeren Gestalt nur wenige Facetten weit komplexerer Zusammenhänge sind, die sich zudem immer wieder neu zusammen brauen. Was wirklich wahr ist und was wir wirklich sehen, darüber geben wir uns permanent neu Rechenschaft ab und stimmen das kontinuierlich wieder miteinander ab. Oft, ohne uns einig zu werden.

Übrigens ist es ja nicht zufällig, dass insbesondere für Laien die Fotografen schwerer ihren Werken eindeutig zuzuordnen sind als die Maler ihren Arbeiten. Während in der Malerei die Farbgebung, Pinselführung, Oberflächengestaltung und allerlei mehr individuelle Prägungen hinterlassen, ist eine Fotografie nur selten und oft nur Experten durch die Besonderheiten der Bildgestaltung, der Lichtführung, der Perspektiven untrüglich dem Fotografen zuzuordnen. Auch das ein Hinweis, wie sehr die Fotografie das abbilden zu objektivieren scheint. Ganz zu schweigen davon, dass eine Fotografie natürlich unendlich reproduzierbar ist.

Ulrich Schwecke mit seinen Arbeiten stellt diese hier – zugegebenermaßen sehr laienhaft und holzschnittartig vorgetragenen Zuordnungen und Erwartungen, die gemeinhin an die Fotografie gestellt werden, munter und höchst ansehnlich auf den Kopf.
Ulrich Schwecke fotografiert künstlerisch. Die Resultate sind malerisch.

Alle Arbeiten, die Sie in dieser Ausstellung sehen, sind unscharf – hätte mein 1888 geborener und Zeit seines Lebens leidenschaftlich fotografierender Großvater, behauptet. Und recht hätte er. Der Gegenstand, das Fotomotiv tritt entfremdet in den Hintergrund und macht Platz für den Blick auf Farben, Strukturen und Formen, auf die Welt hinter der Welt, eine, die wir noch nicht gesehen haben.
Venezianische Gondeln, norddeutsche Rapsfelder, Landschaften und Strände, das Meer und immer wieder das Meer, italienische Städte und indische Ansichten geraten vor dem Objektiv des Ulrich Schwecke in Bewegung. Die von ihm in seiner neuen Schaffensphase entdeckte Technik, bei langen Belichtungszeiten die Kamera zu bewegen, hebelt die Statik der Fotografie aus und schafft wundersame Ergebnisse. Ich glaube sogar, dass mathematisch Begabte die geradezu unfotografische Arbeitsweise von Ulrich Schwecke in eine Formel kleiden könnten. Ich kann das natürlich nicht. Aber es lässt ich ja beschreiben, was passiert, wenn Herr Schwecke lange die Blende offen hält und sich in Bewegung setzt. Die Zeit des Objekts trifft auf die Zeit der offenen Blende. 1/10 Sekunde oder oft auch wesentlich länger. Und hinzu kommt die Bewegung der Kamera, die sich über den Stillstand oder die Bewegung des Motivs legt.

Die Kollisionen und Verzerrungen, die dieses dynamische Verfahren auf dem Speicherchip hinterlässt, werden von Ulrich Schwecke entdeckt und herausgearbeitet. Und dann erscheinen Strände wie von einem Impressionisten gemalt, Gebäude kubistisch entschlüsselt und die Bewegungen von Menschen oder die Spuren des Lichts wie abstrakte Kunst. In dieser Form von Fotografie ist nicht die Landschaft selbst malerisch, die Architektur ästhetisch oder eine Bewegung harmonisch, sondern es ist das Bild, was Ulrich Schwecke daraus macht. Nicht die Nähe zur Wirklichkeit, sondern ihre Veränderung in etwas anderes Neues ist das Credo dieser Fotografie. Ich glaube übrigens, dass auch der Künstler selbst nicht weiß, was dabei raus kommt, wenn er, den Finger auf dem Auslöser, den Arm schwenkt, rumläuft oder in die Höhe springt.

In der Kombination mit unserem Wissen darum, dass es sich um Fotografie handelt, geht das Auge unweigerlich auf die Suche nach dem Motiv, nach dem Gegenstand der Aufnahme. Es macht die große Wärme und das Leben dieser Bilder aus, dass diese Suche nicht ins Leere läuft. Oft stoppen die gegenläufigen Bewegungen irgendwo im Blau, Grün oder Rot der Farbflächen und offenbaren einen Rest dessen, was sie mal waren und wir erkennen Gondeln, Wellen, Laternen, Menschen.
Und der Künstler selbst hilft ja dankenswerterweise und ganz unprätentiös beim Entschlüsseln, indem er den Arbeiten geografische Kennungen gibt, die zudem noch Auskunft über das reiseverhalten des Künstlers geben.

Zurecht ist in dem Titel der Ausstellung von Fotoarbeiten die Rede. Urich Schwecke fotografiert nämlich nicht einfach, sondern er arbeitet mit der Kamera und anschließend mit dem Foto bis daraus ein Bild entsteht, das im besten künstlerischen Sinne, Horizonterweiterung bedeutet und neue Sichtweisen öffnet. Eben auch solche, die bei jedem Betrachter anders sein können. Ich persönlich mag diese Arbeiten sehr.

Und ich finde, dass die Ausstellung hier in der Volksbank ausgezeichnet gehängt ist. Es wird den Kunden und Mitarbeitern eine Freude sein, hierher zu kommen.

In diesen für Banken und ihre Kunden ja nicht leichten Zeiten, ist die Ausstellung von Ulrich Schwecke ein kleines Bonbon, eine Entschädigung für die Zumutungen des Finanzmarktes. Und wer in diesen Zeiten antizyklisch handeln mag, der sollte nicht lange überlegen und in Kunst investieren.

Ich habe gehört, dass die kleinen roten Punkte, die anzeigen, dass ein Bild verkauft ist, griffbereit liegen. Ich jedenfalls bin sicher, dass die Ausstellung „1/10 Sec“ hier in der Bremischen Volksbank für alle Beteiligten ein großer Spaß und Erfolg werden wird. Für die Besucher, die Beschäftigten und für Herrn Schwecke.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.