Unter diesem Titel ist in der Oktober-Ausgabe 2019 von Publik Forum Extra ein größerer Artikel über meine fotografische Arbeit erschienen.

Was mir wertvoll ist

„Ich suche nicht – ich finde!“ Das Zitat ist nicht von mir, sondern von Picasso. Aber es beschreibt meine Arbeitsweise und auch meinen Weg als Künstler sehr treffend. Ich suche die Motive nicht, sondern sie begegnen mir, oft ganz unerwartet. Sie „springen“ mich manchmal an, faszinieren mich, lösen einen Gedanken oder einen Prozess aus. Eigentlich ist es zuerst nur ein Bauchgefühl, das mich stimuliert.

Hier gehe ich noch nicht konzeptionell vor, ich stelle oder arrangiere meine Motive nicht. Die eigentliche Aussage entsteht später in der Bearbeitung, der Zusammenstellung der Motive. Der Prozess ist wie ein Puzzle, von dem ich am Anfang noch nicht weiß, was für ein Gesamtbild entstehen wird.

Als Gründungsmitglied der Gruppe „Kunst und Politik“ habe ich in den 1970er, 80er und 90er Jahren in Bremen politische pointierte Plakate sowie „Kunst im öffentlichen Raum“ gestaltet. Danach gab es eine längere Zeit, in der ich mich hauptsächlich meiner Agentur gewidmet habe. Als Kommunikations- und Marketingberater beschäftige ich mich dort zwar auch mit der Verbindung von Ästhetik und Inhalt, jedoch weniger politisch.
Parallel experimentierte ich mit abstrakter Fotografie. Unter dem Titel „Die Poesie der Unschärfe.“ habe ich einige Ausstellungen organisiert.
Seit einigen Jahren nutze ich die Fotografie auch um mich wieder politischer zu äußern. Die Verhältnisse in der Welt haben sich so zugespitzt, dass es mir verstärkt ein Anliegen ist, mich mit meinen künstlerischen Arbeiten wieder offensiver und politischer zu positionieren.

Klimakatastrophe, Finanzkrise, Terrorismus, Krieg, Hunger – die Themenliste dessen, was uns an Bedrohungen begegnet und bewegt, ist lang und wächst. Mich interessiert, wie diese Themen ästhetisch reflektiert werden können, und zwar so, dass bei der Betrachterin respektive dem Betrachter ein innerer Prozess in Gang kommt: Warum ist es etwas so wie es ist oder scheint? Worum geht es eigentlich? Wie kann man da je wieder rauskommen? Und was passiert, wenn die Dinge sich in den gegebenen Bahnen so weiterentwickeln?

Mich beschäftigt dabei ganz zentral das Konzept des Karmas. Karma meint nicht, dass alles was uns widerfährt vorherbestimmt ist. Karma heißt übersetzt so viel wie „Wirken“ oder „Tat“ und bezeichnet ein Konzept, nach dem jede Handlung eine Wirkung hat. Unser heutiges Handeln, hat Auswirkungen auf die Zukunft. Das bedeutet: Wenn wir wissen wollen, warum die Gegenwart ist wie sie ist, müssen wir uns die Vergangenheit ansehen. Und wenn wir wissen wollen, wie die Zukunft wird, müssen wir die Gegenwart anschauen. Und dieses Konzept bedeutet vor allem auch, dass wir durch unser heutiges Handeln die Zukunft gestalten und das Karma verändern können.

In meiner Ausstellung „Das Karma der Wände“, vom Ende vergangenen Jahres, habe ich, um das zu verdeutlichen, großformatige Fotografien als Tryptichen einander gegenübergestellt. Diese Fotos hatte ich auf zwei unterschiedlichen Reisen gemacht: Je eine Mauer in Bethlehem und eine in Krakau. Sie sind zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Gründen gebaut worden. Die 8 Meter hohe Mauer in Bethlehem, Palästina, ist Teil der israelischen Sperranlagen, die Israel von Palästina auf einer Länge von 750 km trennen. Sie soll terroristische Anschläge in Israel verhindern. Die Mauer in Krakau wiederum steht auf einem jüdischen Friedhof. Die Nazis hatten die Grabsteine zerschlagen und die Bruchstücke zur Pflasterung der Lagerstraßen in den naheliegenden KZs benutzt. Nach dem Krieg wurden die Fragmente zu einer „Klagemauer“ neu zusammengesetzt. Bei genauer Betrachtung sind diese beiden Mauern durch Ursachen und Wirkungen der Geschichte – also karmisch – miteinander verbunden. Als ich auf dem jüdischen Friedhof in Krakau stand leuchtete mir sofort ein, dass die Opfer dieser unmenschlichen Gräueltaten und ihre Nachkommen nie wieder Vergleichbares erleben wollen. Vor diesem Hintergrund ist der Wunsch nach Schutz – wie in Bethlehem – verständlich. Trotzdem stellt sich auch hier die Frage: Wie geht es weiter? Mit der Mauer wird auch neues Leiden und Unrecht geschaffen – neuer Zorn. Wie kann ein Ausweg aus diesem Kreislauf gelingen?

Mir ist es wichtig Menschen zu berühren, zum Nachdenken anzuregen und ins Handeln zu bringen. Eindeutige Statements mit einfachen Antworten versuche ich zu vermeiden, denn das könnte von der Betrachterin, dem Betrachter leicht abgehakt werden, nach dem Motto: „Ach ja, stimmt, so ist das“. Oder man gewöhnt sich daran, wie an die Bilder vom 11. September, die im Fernsehen in einer Art Endlosschleife immer und immer wiederholt wurden. Und am Ende war der Schrecken weg. Wenn möglich, versuche ich unterschiedliche Sichtweisen einzubeziehen und Fragen auszulösen. Dabei versuche ich auch immer aus einer sehr persönlichen Sicht heraus darzustellen, was das Motiv, mit mir gemacht hat. Jede Form von Kunst bedarf eines offenen Raumes, der zu einem inneren Prozess und öffentlichen Dialogen einlädt.

Die Wirklichkeit ist immer mehr, als ein einzelnes Foto zeigen kann. Es geht mir darum einen systemischen Blick zu ermöglichen. Dafür stehen mir verschiedene Mittel zur Verfügung. Ich kann beispielsweise verschiedene Fotografien zueinander in Beziehung setzen, sie einander gegenüberstellen, zu Triptychen zusammenstellen oder zu ganzen Serien mit einem dramaturgischen Aufbau zusammenfassen, ich kann die Intensität und die Farbwirkung verändern, ich kann Texte dazustellen und so weiter.

Auch die besprühten Wände in Athen habe ich erst einmal nur fotografiert, als sie mir im Urlaub begegneten. In den vielen Graffitis, Tags und Bildern spiegelt sich ganz deutlich die Wut der Griechen über die „Politik der Gläubiger“, insbesondere Deutschlands, wider. Diese Wut habe ich intensiv zu spüren bekommen, als ich auf Kreta zufällig mit drei Mitarbeitern eines Telekommunikationsunternehmens ins Gespräch kam. Als sie erfuhren, dass ich aus Deutschland komme, reagierten sie mit einem minutenlangen lautstarken Wutausbruch, bei dem zwei Wörter zentral waren „Merkel“ und „Schäuble“. Ich habe mich geschämt.

Diese besprühten Wände wirkten auf mich wie ein kollektiver Aufschrei gegen eine als erdrückend empfundene Sparpolitik. Um diesen Eindruck noch deutlicher zu machen, habe ich später am Bildschirm mit Farbe, Ausschnitten und Kontrasten experimentiert, das war fast ein Prozess wie das Malen eines Bildes. Dadurch entsteht nochmal ein neuer Dialog mit den darin verdichteten Anliegen, ohne dass ich mich damit zu 100 % identifiziere. Die Bearbeitung stellt auch eine Distanz her, ich bewege mich quasi in einer Metaposition, die einen neuen Blick ermöglicht.

Aufgezeichnet von Silke Düker

aus: Publik Forum Extra, Oktober 2019

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