Bertram Nejedly
Liebe Claudia Lex, vielen Dank für die Einführung und die Vorstellung, lieber Ulrich Schwecke, liebe Gäste,
es ist mir eine große Ehre heute in einer für mich ungewohnten Rolle vor Ihnen zu stehen. Ich darf Ihnen die Kunstwerke meines Freundes Ulrich Schwecke aus Bremen, den ich schon sehr lange kenne und sehr schätze, vorstellen. Das ist jetzt nicht meine Hauptbeschäftigung. Erwarten Sie also keine kunsthistorischen Einordnungen von Ullis Werk, sondern ich möchte Ihnen einige sicher sehr subjektive Eindrücke schildern, die in der Auseinandersetzung mit und im Gespräch über seine Bilder entstanden sind. Ich denke, das entspricht auch seinem Werk, dass einen höchst persönlichen Blickwinkel auf die Welt zeigt. Ich würde sogar sagen, es ist nicht nur ein Blickwinkel, sondern eine Art Blickprozess an dem wir hier teilhaben und der hier abgebildet wird.
Ein paar Worte zur Geschichte dieser Bilder. Ich habe Ulrich Schwecke vor etwa 20 Jahren in seiner Rolle als Kommunikations- und Marketingexperte kennen gelernt. Er hat für meine damalige Firma das Marketing entwickelt. Als Fotografen habe ich ihn erst später kennen gelernt als aus unserer Geschäftsbeziehung eine persönliche Freundschaft entstanden ist. Ich war von Anfang an fasziniert von den Ergebnissen seiner Fotoarbeit, aber auch von der Art und Weise der Entstehung.
Er hat vor etwa 10 Jahren mit dieser Art von Fotografie angefangen und der Auslöser war der Versuch, die Ästhetik des Aikido abzubilden. Aikido ist eine friedliche Kampf- und Verteidigungssportart, die er selbst ausübt. Sie sehen eines dieser Bilder hier in der Ausstellung. Durch die Verlängerung der Belichtungszeit, 1/10 sec, der Titel dieser Ausstellung, sehen wir plötzlich kein starres Standbild, sondern die Dynamik einer Bewegung. Das eigentliche Motiv wird unscharf, gleichzeitig öffnet sich uns eine Welt, die wir sonst nicht in dieser Art und Weise wahrnehmen.
Die zwei Kämpfer verschmelzen förmlich in ihrer Bewegung miteinander und sichtbar werden Dinge, die etwas über den Spirit und die Philosphie des Aikido aussagen. Dazu ein Zitat des Gründers Morihei Ueshiba: “Wenn Du angegriffen wirst, schließe Deinen Gegner ins Herz.” In der Praxis schaut es so aus, dass man die Energie des Gegners aufnimmt und umlenkt und auf ihn selbst zurückwirft. Ulli zeigt uns in seiner Fotografie eine geistige Welt, eine Welt, die sich sonst unserer Wahrnehmung entzieht, aber in ihrer Prozesshaftigkeit der Wirklichkeit vielleicht näher kommt als unser Alltagsblick.
In den letzten 10 Jahren ist eine große Bandbreite an Motiven und Verschieden-artigkeiten entstanden, oft inspiriert durch Landschaften oder Situationen. Die Motive haben den Fotografen gefunden und er formt daraus eine künstlerische Arbeit. Warum Arbeit?
Hinter jedem Foto stehen im Entstehungsprozess Dutzende von Fotos wovon eines ausgewählt wird, in dem nichts mehr zufällig ist. Zufällig ist nur noch der Prozess des Fotografierens. Ich konnte das selbst schon beobachten. Ulli arbeitet nicht nur mit der Belichtung, sondern auch mit der Bewegung, das heißt, er zieht die Kamera vor dem Motiv. Was dann letztendlich sichtbar wird, zeigt sich erst bei der Entwicklung der Fotos. Nur die Bilder, die Ullis eigenem kritischen Blick standhalten, werden veröffentlicht.
Durch diese Art der Fotografie gelingt es Ulli, die Wirklichkeit so abzubilden wie sie der Realität eher entspricht als das, was wir in der Regel wahrnehmen. Die Bilder stoßen Suchbewegungen in unserer Wahrnehmung an. Ähnlich dem Aikido-Prinzip werden wir auf uns selbst zurückgeworfen und veranlasst, uns selbst ein Bild zu machen. Ist das nun der Markusplatz in Venedig, ein Märchenschloss, eine mythische Landschaft? Bilder, die zum Fragen einladen.
Unser Sehsinn ist der unschärfste Sinn und der am leichtesten zu täuschende. Wir neigen dazu, die Welt als vollständig zu sehen. Oder, wenn uns das nicht gelingt, vervollständigen wir sie. Ein Beispiel ist der blinde Fleck. So wird der Bereich auf der Netzhaut genannt, der für das Licht unempfindlich ist, weil dort der Sehnerv austritt. Wir nehmen dieses Loch in der visuellen Wahrnehmung jedoch nicht wahr, weil unser Gehirn, salopp gesagt, uns ein vollständiges Bild vorrechnet. Wir sehen nicht, dass wir nicht sehen. Wir neigen dazu, in einer Welt der Gewissheiten zu leben. In der unsere visuelle Wahrnehmung stichhaltig bezeugt, dass die Dinge so sind wie sie sind.
Ullis Fotoarbeiten fordern uns auf, diese Gewissheiten zu hinterfragen. Wir sind mit Bildern konfrontiert, die weniger Objekte abbilden, sondern Prozesse. Das ist ungewohnt und wir versuchen, die Bilder zu vervollständigen oder ihnen einen Sinn zu geben. Das ist für mich das eigentlich faszinierende an diesen Fotos, dass dadurch eine, zum Teil auch unbewusste, Auseinandersetzung zwischen Betrachter und Bild entsteht. Bilder, die keine Fixpunkte zum Festhalten für das Auge bieten, können uns aus der Balance bringen.
Genauso wie neue Paradigmen und wir leben in einer Zeit des Paradigmenwechsels. Letztendlich macht der Betrachter das Bild und was will Kunst mehr erreichen als den Betrachter zum selbständigen Denken und zum bewussten Wahrnehmen aufzufordern. Und damit seine Wahrnehmung in Kontrast zu stellen mit der Wahrnehmung des Künstlers. Diese Hypothese kommt daher, dass ich Pädagogik gelernt habe und vielleicht noch an einen pädagogischen Auftrag der Kunst glaube, was viele Künstler und Kunstexperten natürlich abstreiten würden.
Die Fotos von Ulli sind sehr subjektiv. Ich glaube, diese Bilder als Zeitgeistbilder für Geschwindigkeit und Hetze zu sehen, ist ein Aspekt, würde ihnen aber nicht vollständig gerecht. Es sind Fotos dabei, die auf eine romantische, expressionistische oder kubistische Malstilrichtung zurück verweisen. Durch die Transformation werden Fotos Gemälde oder bekommen Ausdrucksqualitäten von Aquarellen. Sie zeigen Momente großer Hingabe des Fotografen an den Moment.
Sie fordern uns auf, in Interaktion mit ihnen zu gehen. Sie sind keine Bilder der Kontemplation, der stillen Betrachtung, sondern sie schaffen eher Unruhe in unserer Wahrnehmung. Wir sehen in dieser Fotografie das prozesshafte unseres Lebens, die Bewegung, den Fluss. Du kannst nicht zweimal in ein Bild steigen, fällt mir dabei ein. Und da diese Bilder bisweilen an Malerei erinnern, können sie uns auch etwas über die Wahrnehmung der Maler in früheren Zeiten sagen. Sie haben die Welt so wahrgenommen und so gemalt wie sie es zu ihrer Zeit empfunden haben.
Vielleicht sind sie damit ihrer Zeit voraus gewesen. Wir wissen inzwischen, dass die Welt aus Prozessen besteht, aus kleinsten Teilchen, und dass unsere Wahrnehmung es irgendwie fertig bringt, der Welt eine feste Struktur zu geben. Doch entspricht das der Wirklichkeit? Das wissen wir nicht. Und wir können es auch nicht überprüfen, weil wir unserem Gehirn nicht bei der Arbeit zuschauen können, wie es höchst komplexe Vorgänge für uns handhabbar macht.
Ich glaube, dass uns Ulli einen Einblick gibt in das unbeständige und bewegliche der Welt und damit einen starken Anstoß, über unsere Interpretation der Welt nachzudenken. Er hat mir gestanden, dass er Gustave Courbet, den französischen Meister des Realismus, verehrt. In dieser Ausstellung gibt es ein Bild, das als Hommage an Courbet gedacht ist. Vielleicht haben wir es bei Ullis Fotografie mit einer Art postmodernem Realismus zu tun, der weiß, dass es die Realität, die Wahrheit, den Standpunkt nicht gibt. Es gibt nur Perspektiven.
Zum Schluss lade ich Sie zu einem Experiment ein. Betrachten Sie die Bilder, als wäre das die abgebildete Realität und alles andere nur eine besondere Rechenleistung unseres Gehirns. Und vielleicht bekommt Heraklits Satz “Panta Rhei Alles fließt” Bedeutung. Und dann betrachten Sie ihren Nachbarn als wäre auch er nur ein flüchtiges Lichtwesen und sie sehen eine ganz andere Art von Schönheit.
Und wenn Sie diesen Gedanken öfters nachgehen wollen, ich habe mir sagen lassen, es gibt eine Preisliste und rote Punkte für jedes verkaufte Bild, greifen Sie zu.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude und Inspiration mit dieser Ausstellung und danke für Ihre Aufmerksamkeit.