Das Karma der Wände

Fotoarbeiten von Ulrich Schwecke in der Villa Ichon

Ein kleines Siedlungshaus in Bremen, das durch ein Übermaß an Sicherungstechnik einer Festung gleicht. Eine Mauer in Bethlehem, die schützen soll, zugleich aber neues Leid produziert, und malerisch anmutende Motive, die die Wut über die Politik der Gläubiger gegenüber Griechenland widerspiegeln: In seiner aktuellen Ausstellung in der Villa Ichon zeigt Ulrich Schwecke mit ganz unterschiedlicher Herangehensweise Arbeiten, die aber eines gemeinsam haben. Sie reflektieren auf ästhetische Weise Ursache und Wirkung vorangegangen Handelns. Schwecke: „Zentral ist für mich dabei der karmische Gedanke, in dem Sinne, dass jede Handlung Auswirkungen auf die Zukunft hat.“

Ein Haus in Oberneuland

Erst auf den zweiten Blick erschließt sich die politische Relevanz bei der Fotoserie „Ein Haus in Oberneuland“. Die eindrücklichen Bilder gewähren nüchterne Einsichten in ein leerstehendes Wohnhaus, das von seinem vorherigen Bewohner regelrecht zur Trutzburg aufgerüstet wurde. Bürgerlich-spießig anmutende Gardinen wahren den Schein. Dass obsessiv vom Keller bis zum Dach doppelte Schlösser, Gas- Wasser- und Bewegungsmelder, Alarmanlagen, Signaldrähte, Funksender und allerlei selbstkonstruierte Apparaturen angebracht wurden, ist von außen kaum zu ahnen. Ulrich Schwecke dokumentiert hier auf drastische Weise, wie sich ein Bürger vor Eindringlichen und anderen möglichen Bedrohungen schützen will und sich dabei gleichsam selbst einschließt. Als „ziemlich bedrückend“ hat der Fotograf die Szenerie wahrgenommen und sich gefragt: „Was hat das für Auswirkungen auf die Bewohner oder die Nachbarschaft? Und letztlich: Was passiert mit einer Gesellschaft, die sich nach außen verschließt?“ Denn das Haus in Oberneuland ist für Schwecke auch eine „Metapher der heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse, die durch Abschottung Sorgen und Ängste vor Veränderungen ausdrückt“.

Zwei Mauern

Auch einer anderen komplexen politischen Thematik nähert sich Ulrich Schwecke mit eindringlichen wie ästhetischen Bildern. Unter dem Titel „Zwei Mauern“ setzt der Fotograf zwei ganz unterschiedliche Bauwerke in Beziehung: Die „Klagemauer“ auf dem Jüdischen Friedhof in Krakau, die nach dem 2. Weltkrieg aus von deutschen Faschisten zerschlagenen Grabmälern gebaut wurde, sowie jene acht Meter hohe Mauer in Bethlehem, die als Teil der Sperranlage Israel von Palästina trennt und als Schutz vor Terroranschlägen dienen soll. Für Schwecke wird gerade an der Gegenüberstellung der verschiedenen Mauern sinnbildlich das Karma-Prinzip von Ursache/Wirkung, von politischem Handeln und dessen Folgen unmittelbar sichtbar. „Natürlich ist der Nahostkonflikt ein hochsensibles Thema“, erläutert Ulrich Schwecke, der sich den Themen aus seiner ganz persönlichen Wahrnehmung heraus nähert. „Aus Sicht der Opfer ist das Bedürfnis nach größtmöglichem Schutz verständlich. Doch was macht das mit den Palästinensern, denen dadurch neues Leid zugefügt wird?“ Und: „Wie ist dieser Kreislauf zu durchbrechen, dessen Ursache nicht zuletzt auch im faschistischen Deutschland liegt?“ In der Mauer-Fotoserie kommen dabei die Überlegungen zum karmischen Gedanke besonders deutlich zum Tragen, „weil er eben in politischen Zusammenhängen oft nicht mitgedacht wird“. Schwecke: „Für mich ist dies eine Erklärung, warum zurzeit so viele Konflikte eskalieren.“

Athen

Die Wahl der Bildmotive, der Kerngedanke des Karmas und auch die Idee, verschiedene Bildserien miteinander zu verknüpfen, haben sich erst in einem längeren Prozess zu einem Ausstellungskonzept entwickelt, erklärt Schwecke: „Alle ausgestellten Arbeiten spiegeln meine persönlichen Überlegungen, Fragen oder Berührtheit zu diesen Themen wider und sind auf diesem Hintergrund entstanden. Es war beispielsweise reiner Zufall, dass ich erst in Bethlehem und dann in Krakau war, wo mir direkt auf dem Friedhof Gedanken zu den Verstrickungen kamen.“  Auch auf einer Reise nach Griechenland traf Schwecke mit seiner Kamera auf ein Thema, das letztlich Eingang in die Ausstellung fand. Formal stehen die malerisch wirkenden Arbeiten der „Athen“-Serie, die aus bearbeiteten Fotografien entstanden sind, mit ihren knalligen bis grellen Farben dabei im krassen Gegensatz zu den beiden anderen Bildwelten der Ausstellung. Sie zeigen verschiedene Wände in Athen, an denen sich die Wut gegen eine als erdrückend empfundene Sparpolitik als kollektiver Aufschrei in Form von Graffiti entlädt. Für Schwecke sind sie Fragmente, „die Spuren von Aufruhr, Widerstand, aber auch Dialog“ dokumentieren.

Mit der Ausstellung in der Villa Ichon soll nun ebenfalls ein Raum geschaffen werden, der alle Ausstellungsbesucherinnen und -besucher neue Betrachtungen sowie Zugänge ermöglicht und zugleich zum Dialog einlädt.